Stress ist ein alltägliches Phänomen, dem wir in verschiedenen Lebenssituationen begegnen. Unser Körper reagiert auf Stress, indem er eine Reihe von physiologischen, emotionalen und muskulären Anpassungen vornimmt. Ein zentraler Mechanismus dieser Reaktion ist der Aufbau von Spannung. In der körperpsychotherapeutischen Arbeit betrachten wir Stress als eine multidimensionale Erfahrung, bei der der Körper auf natürliche Weise versucht, sich zu schützen oder auf eine Herausforderung zu reagieren. Allerdings kann chronischer Stress zu anhaltenden Spannungszuständen führen, die sowohl das physische Wohlbefinden als auch die emotionale Gesundheit beeinträchtigen.
Ich möchte heute beschreiben, wie die Prozesse, durch die unser Körper unter Stress Spannung aufbaut und die neurobiologischen Mechanismen dahinter beleuchten. Weiters möchte ich darstellen, wie diese Spannungen langfristig zu körperlichen und psychischen Beschwerden führen können.
1. Der Stressmechanismus und die Rolle des autonomen Nervensystems
Wenn wir unter Stress stehen, aktiviert unser Gehirn das autonome Nervensystem (ANS), das den Körper auf eine Bedrohung vorbereitet. Der Körper bereitet sich darauf vor, entweder zu kämpfen oder zu fliehen, indem er Spannung in den Muskeln aufbaut, die Herzfrequenz und den Blutdruck erhöht und das Immunsystem unterdrückt, um kurzfristige Energie zu sparen.
Der Stressmechanismus wird hauptsächlich durch zwei Pfade im autonomen Nervensystem gesteuert:
- Das sympathische Nervensystem (SNS): Dieses System ist dafür verantwortlich, den Körper in einen Zustand der Alarmbereitschaft zu versetzen. Es aktiviert die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol, die den Körper auf akute Herausforderungen vorbereiten. In dieser Phase ziehen sich Muskeln unwillkürlich zusammen, vor allem in Bereichen wie dem Nacken, den Schultern und dem unteren Rücken, da diese Regionen für Verteidigung und Bewegung von zentraler Bedeutung sind.
- Das parasympathische Nervensystem (PNS): Normalerweise würde das PNS nach einem Stressereignis übernehmen und den Körper in den Ruhezustand zurückführen. Doch bei chronischem Stress bleibt das sympathische Nervensystem dauerhaft aktiviert, und der Körper bleibt in einem Zustand erhöhter Muskelspannung.
2. Der Aufbau von Muskelspannung
Der Muskeltonus — also die natürliche Grundspannung der Muskulatur — wird durch das Nervensystem reguliert. Unter Stress erhöht sich der Muskeltonus, um den Körper auf Bewegung oder Verteidigung vorzubereiten. Dabei kommt es zu folgenden Prozessen:
- Isometrische Muskelkontraktionen: Unter Stress ziehen sich Muskeln oft in isometrischen Kontraktionen zusammen. Das bedeutet, dass die Muskeln unter Spannung stehen, ohne sich zu bewegen. Dies führt zu einem Gefühl von Steifheit und Anspannung, insbesondere in den Bereichen, die eng mit der Stressreaktion verbunden sind, wie dem Kiefer, Nacken, Schultern und unteren Rücken.
- Reflexartige Schutzreaktionen: Der Körper entwickelt reflexartige Schutzmechanismen, wenn er unter Bedrohung steht. Diese „Schutzpanzerungen“ sind muskuläre Spannungen, die den Körper vor potenziellen Gefahren schützen sollen. Diese Muster können durch chronischen Stress automatisiert werden und führen zu anhaltenden Verspannungen.
3. Emotionale und körperliche Auswirkungen von chronischer Spannung
Stress und die damit verbundene muskuläre Spannung wirken sich nicht nur auf den Körper, sondern auch auf die Emotionen und die geistige Gesundheit aus. Langfristiger Spannungsaufbau führt oft zu chronischen Schmerzen, Müdigkeit und emotionalen Schwierigkeiten. Hier sind einige der häufigsten Auswirkungen:
- Chronische Schmerzen: Anhaltende muskuläre Verspannungen, insbesondere im Nacken, den Schultern und dem Rücken, können zu chronischen Schmerzen führen. Diese Spannungsknoten („Triggerpunkte“) sind oft schwer zu lösen und können Schmerzen in andere Körperbereiche ausstrahlen.
- Veränderte Körperhaltung: Stress kann zu einer veränderten Körperhaltung führen, bei der bestimmte Muskelgruppen chronisch angespannt sind, was zu Fehlhaltungen und langfristigen Haltungsproblemen führen kann. Eine gebeugte Haltung, bei der die Schultern nach vorne gezogen werden, ist oft ein Zeichen für chronischen Stress.
- Eingeschränkte Atmung: Wenn wir unter Stress stehen, neigen wir dazu, flach und schnell zu atmen, was die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn und den Muskeln reduziert. Dies führt zu einer weiteren Anspannung, insbesondere im Brustkorb und im Zwerchfell, was wiederum die Stressreaktion verstärkt.
- Emotionale Erschöpfung und Überreaktivität: Die anhaltende Anspannung des Körpers beeinflusst das emotionale Wohlbefinden. Menschen, die unter chronischer muskulärer Spannung leiden, neigen dazu, gereizt, ängstlich und emotional ausgelaugt zu sein. Dies geschieht teilweise aufgrund der ständigen Aktivierung des sympathischen Nervensystems und der unzureichenden Erholung.
4. Wie Trauma die körperliche Spannung verstärkt
Traumatische Erfahrungen haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die Fähigkeit des Körpers, Stress abzubauen. Während eines traumatischen Ereignisses wird der Körper in einen Überlebensmodus versetzt, in dem er extrem hohe Spannung aufbaut, um sich zu schützen. Diese Spannung bleibt oft bestehen, selbst wenn die Bedrohung längst vorbei ist.
- Somatische Fixierung: Im Fall von Trauma kann der Körper in einem Zustand chronischer Übererregung oder „Gefrorensein“ bleiben. Diese somatischen Fixierungen äußern sich als chronische muskuläre Verspannungen, die tief im Körpergewebe verankert sind.
- Unvollständige Kampf- oder Fluchtreaktionen: Wenn der Körper während eines traumatischen Ereignisses nicht vollständig in der Lage war, zu fliehen oder zu kämpfen, bleibt die Spannung „eingefroren“ im Körper. Dies kann sich in einer chronischen Überaktivierung des Nervensystems und ständigen Muskelspannungen äußern.
5. Körperpsychotherapeutische Ansätze zur Lösung von Spannung
Die körperpsychotherapeutische Arbeit zielt darauf ab, diese festgehaltenen Spannungen durch somatische Techniken zu lösen und den Körper in die Lage zu versetzen, Stress auf gesunde Weise zu verarbeiten. Hier sind einige Ansätze, die zur Stressbewältigung und Entspannung eingesetzt werden:
- Körperwahrnehmung (Interozeption): Indem Klienten lernen, ihre eigenen Körperempfindungen bewusster wahrzunehmen, können sie Spannungsmuster im Körper erkennen und gezielt verändern. Dies stärkt die Verbindung zwischen Geist und Körper und fördert die Entspannung.
- Atemarbeit: Atemtechniken sind ein zentrales Werkzeug in der körperpsychotherapeutischen Arbeit. Tiefes, gleichmäßiges Atmen aktiviert das parasympathische Nervensystem und hilft, muskuläre und emotionale Spannungen abzubauen.
- Bewegung und Körperarbeit: Bewegungstherapien wie Yoga, Feldenkrais oder Somatic Experiencing helfen dabei, festgehaltene muskuläre Spannungen zu lösen und den Körper zu entlasten. Durch sanfte Bewegungen und bewusste Körperarbeit können eingefrorene Spannungen im Körper gelöst werden.
Fazit
Unser Körper baut unter Stress auf natürliche Weise Spannung auf, um sich auf Herausforderungen vorzubereiten. Während diese Reaktion kurzfristig überlebenswichtig ist, kann chronischer Stress zu anhaltenden Spannungsmustern im Körper führen, die das körperliche und emotionale Wohlbefinden beeinträchtigen. Die körperpsychotherapeutische Arbeit bietet Techniken zur Wiederherstellung des Gleichgewichts, indem sie die Verbindung zwischen Körper und Geist stärkt und dem Nervensystem hilft, Spannung und Stress auf gesunde Weise abzubauen.
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